„Kann ich alles!“ – Yoga und Ehrgeiz
Yoga und Ehrgeiz – müssen sie zusammengehören?
Die folgende Szene erlebe ich in den Kinderyoga-Kursen der 8-12-Jährigen immer wieder: Ein Kind beginnt abseits der Yogastunde damit, sich in Bakasana zu schwingen. Sofort rufen alle „Kann ich auch!“, und der Raum ist erfüllt von vielen kleinen Krähen. Niemand kann die Asana länger halten, aber alle Kinder sind megastolz, sie geschafft und gezeigt zu haben. Auch beim Kopfstand, den ich mit Kindern unter acht Jahren gar nicht, mit größeren Kids nur mit mir als Sicherheit übe, ist dieses Phänomen anzutreffen. Oftmals kann ich gar nicht so schnell reagieren und als Hilfe bzw. Sicherheit assistieren, wie die Beine plötzlich in die Luft ragen. Mal ist es die Amsel (der kleine Kopfstand mit auf den Armen aufgesetzten Beinen), mal gleich der frei im Raum stehende Kopfstand. Wackelig zwar und nur ultrakurz gehalten, doch die Message ist eindeutig: „Sieh her, was ich (schon) kann!“
Egal, ob klein oder groß: Ehrgeiz ist unser Motor. Er treibt uns an zu Höherem, er schafft es, dass wir unsere Angst vergessen und uns trauen, scheinbar Unerreichtes erreichen. Doch leider ist die Grenze zwischem gutem Ehrgeiz und solchem, der uns dazu verführt, die Dinge verzerrt zu sehen, schmal. Denn manchmal nerven sie einfach nur, die Instagram-Yogis, die ständig atemberaubende Yoga-Posen zeigenden Girls vor Traumkulisse. Was hat Postkarten-Yoga, der scheinbar nur aus Ehrgeiz und falschem Schein entstanden ist, noch mit Patanjali zu tun? Was ist mit der – unspektakulären – Beruhigung des Geistes? Bin ich nur ein richtiger Yogi, wenn ich Vrischikasana beherrsche? Müssen wir uns eigentlich immer erst etwas abverlangen, bevor wir zufrieden sind?
Das Thema Ehrgeiz kommt bei kleinen wie großen Menschen vor. Und der Grat zwischen der unbändigen Freude darüber, etwas Schweres bewältigt zu haben und einer „Attitude“, hart mit sich zu sein, sich manchmal nur über Leistung zu definieren, ist fließend. Jeder muss selbst für sich klären, was die eigentliche Motivation für die persönliche Yoga-Praxis ist. Aber gerade in der Yoga-Praxis sollten wir den inneren Raum nutzen und in uns hineinspüren. Vielleicht reicht auch heute einfach ein simpler Flow aus Vierfüßlerstand und Adho Mukho Svanasana? Oder gar nur, im Vierfüßlerstand einmal ordentlich die Wirbelsäule in alle Richtungen zu bewegen?
Mir ist es wichtig, den mit mir yogierenden Kids zu vermitteln, dass es unendlich klasse ist, wenn man sich etwas Schwieriges traut. Dass ich mich freue, wenn sie Spaß an den Asanas haben. Und dass das wirklich Tolle am Yoga ist, dass es dich genau da abholt, wo du gerade stehst. Aber dass die Krähe und, sagen wir, der Berg gleichwertige Asanas sind – und der Berg keineswegs unbedingt leichter auszuführen ist. Manchmal hilft der Hinweis, dass man auch einmal in eine Pose hineinfühlen kann: „Wo ist sie schwer, wo ist sie leicht für dich? Wie fühlst du dich, wenn du die Krähe (vielleicht auch ein wenig länger) hältst?“