In der rechtlichen Grauzone? Tabuthema: Ideen-Klau im Kinderyoga
Das folgende Thema brennt mir schon länger unter den Nägeln. Mir, aber auch einigen Kolleg*innen, mit denen ich mich in den letzten Wochen dazu ausgetauscht habe. Lange habe ich mich nicht ans Thema herangetraut: zu heikel, zu viel Zündstoff. Und eigentlich ist Kinderyoga, sind Spiele und Übungen doch für alle zugänglich und gehören niemandem. Oder? Ja. Und Nein. Angesichts mancher Praktiken blutete mein Journalistinnen-Herz jedoch in der Vergangenheit öfter einmal. Denn es geht um Copycatting und Ideen-Klau in der Kinderyogaszene.
Die Kinderyogaszene ist recht überschaubar – zumindest war sie das vor Corona. Es gibt etablierte und neu dazugekommene tolle Kinderyogalehrer*innen, die ihre eigenen Vorstellungen von Kinderyoga in die Welt tragen und diese damit ein wenig bunter machen. Alles zum Wohle der Kinder.
Doch wie in jeder Bubble, so gibt es auch hier kleine Ungereimtheiten, Grenzüberschreitungen, rechtliche Grauzonen und ganz klare Verstöße gegen das Urheberrecht. Aber der Reihe nach.
Als ich vor einigen Jahren einmal aus reiner Langeweile meinen Buchtitel „Yoga für dich und dein Kind“ googlete, staunte ich nicht schlecht. Da tauchten Fotos meiner Tochter und mir auf mir fremden Websiten auf. Ganze Textpassagen, die ich geschrieben hatte, um meine Kurse zu beschreiben – von mir unbekannten Menschen einfach 1:1 kopiert und übernommen. Und das, ohne vorher anzufragen. Wie sollte ich mich verhalten? Das Thema stresste mich unfassbar.
Reflexionsfragen an dich:
- Was würdest du tun? Ein Auge zudrücken und dich freuen, dass deine Inhalte übernommen werden?
- Oder die betreffenden Personen anschreiben?
Meine Antwort dazu ist mittlerweile klar: Ich schreibe die Person an – gerade, wenn ich sie nicht kenne. Denn: Solche Vorgehensweisen verstoßen gegen das Urheberrecht und können geahndet werden. Es ist weder erlaubt, Fotos ohne Nennung des Copyrights und vorherige Erlaubnis für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Noch dürfen Texte übernommen werden, nur, weil sie so treffend formuliert sind. Leider ist es durch die Verbreitung durch das Internet mittlerweile gar nicht mehr möglich, alle Übertretungen von Verletzung geistigen Eigentums zu ahnden. Schnell mal wird ein Zitat übernommen (ohne die eigentliche Quelle zu checken oder zu nennen), schnell mal eine gute Idee aufgegriffen. Und das soll falsch sein? Eigentlich kann man von kollektiven Urheberrechtsverletzungen sprechen, die tagtäglich geschehen.
Im Hinblick auf die Kinderyogaszene schmerzt das natürlich. Denn oftmals scheint es den unrechtmäßigen Nutzern gar nicht klar zu sein, dass Bilder und Texte von anderen nicht genutzt werden dürfen. Da werden in Facebook-Gruppen ganze Seiten von Büchern abfotografiert und geteilt, ohne die Quelle zu nennen. Das mag auf den ersten Blick nicht schlimm und für die Gruppe hilfreich sein – erlaubt ist es nicht.
Was tat ich also, als ich die Fotos von Marisol und mir auf der fremden Website sah?
Die Texte auf einer anderen fand? Ich wandte mich freundlich an die beiden Frauen und bat um Aufklärung. Die eine stützte sich auf ihre Unwissenheit und nahm den Inhalt von ihrer Website. Die andere wurde pampig und beschimpfte mich als „nicht-yogisch“ (darauf gehe ich später ein). Ich solle mich doch freuen, wenn meine Texte von anderen aufgegriffen würden (auch hierzu später mehr).
Beide Verhaltensweisen machen mich traurig, denn ich frage mich so oft:
Sollte nicht in einer qualifizierten Kinderyoga-Ausbildung und bei einer Tätigkeit, die sehr auf der Nutzung von Materialien anderer abzielt, gerade der korrekte Umgang mit der Nutzung von ebendiesen Materialien gelehrt werden?
Das verweist auf ein weiteres Problem: Tatsächlich sind in den letzten Jahren sehr viel neue Anbieter von Kinderyoga-Ausbildungen aufgetaucht. Das ist einerseits regelrecht wünschenswert, denn so wird unser aller Herzensthema noch mehr verbreitet. Andererseits wird teilweise mit Dumping-Preisen gelockt. Hier ist es – wie immer übrigens – hilfreich, zu schauen, ob der / die Anbieter*in selbst Expert*in im Kinderyoga ist und über entsprechende Praxis und Hintergrundwissen verfügt.
Aber zurück zum eigentlichen Thema: dem Nutzen von Materialien anderer. Nun wirst du vielleicht einwerfen, dass es doch niemandem schadet, wenn du z.B. Postkarten von „Der Kleine Yogi“ auseinanderschneidest, laminierst und so dein eigenes Memory für deine private, achtköpfige Kinderyoga-Truppe erstellst. Gegenfrage: Wenn du so davon überzeugt bist, dass das rechtmäßig und ok ist: Würdest du der Erfinderin, Barbara Schauer, diese Frage auch stellen? Wohl eher nicht, oder? Und allein an meiner korrekten Schreibweise von „Der Kleine Yogi“ siehst du bereits, dass es sich um eine eingetragene Marke handelt, deren unrechtmäßige Verbreitung nicht erlaubt ist. Also ist die Antwort: Streng genommen ist es nicht erlaubt. Und Unwissen schützt nicht vor unethischem oder gar unrechtmäßigem Handeln.
Wird also in der Kinderyogaszene geklaut?
Ich bin nun seit zehn Jahren ein sehr aktiver Teil der Szene und infolgedessen gut vernetzt. Ich stehe regelmäßig im Austausch mit vielen Kolleg*innen. Daher behaupte ich jetzt mal, dass ich über einen guten Überblick über die Kinderyogaszene verfüge. Es ist eine großartige, kreative Bubble, voller gegenseitiger Wertschätzung und Verbindung. Kinderyogalehrer*innen tun sich zusammen, um etwas zu erschaffen, sei es Workshops oder ganze Ausbildungen. Es gibt so viele qualifizierte Kinderyogalehrer*innen, die straight ihr eigenes Ding machen und dem Kinderyoga einen neuen, frischen Anstrich verpassen. Und auch ich gehe als Ausbildende diesen Weg und bringe Konzepte in die Welt – und WILL AKTIV, dass unsere Ansätze gesehen und genutzt werden.
Wo also ist das Problem?
Tatsächlich sind die Übergänge zwischen dem, was man in einer Ausbildung / Weiterbildung als Konzept von jemand gelernt hat und dem, wie man seine eigenen Angebote strukturiert und gestaltet, fließend. In meiner Vorstellung und bei meinen Weiterbildungen halte ich die Teilnehmer*innen stets dazu an, ihren eigenen Kinderyoga-Weg zu finden. Und eben nicht von anderen zu kopieren. Und doch wird mir immer wieder vom Ideen-Klau berichtet: Von Kolleg*innen, die sich sehr gern und immer wieder von anderen inspirieren lassen und was sie bei anderen gesehen haben, dann als ihre Ideen ausgeben. Solche, die es mit den Quellenangaben nicht so genau nehmen. Kolleg*innen, die ihre eigenen Angebote 1:1 so nennen, wie die Weiterbildung, die sie gerade erst besucht haben. Yogalehrende, die sich Konzepte von anderen kaufen und diese als Basis für eigene Kinderyoga-Ausbildungen nutzen – statt sich einen eigenen Ansatz zu erarbeiten. Und, wie kürzlich geschehen, Menschen, die kreatives Material von anderen erwerben und dann für einen erhöhten Preis und ohne Nennung des ursprünglichen Autors auf ihrer eigenen Website verkaufen.
Es ist eine Frage der Perspektive: Viele, die kreativ als Kinderyogalehrende tätig sind und davon auch leben, wissen, was ich meine. Wenn du eigene Konzepte erarbeitest, die womöglich einen neuen Ansatz haben, findest du copycatting – auf Dauer und wiederholt – eben nicht so lustig. Stehst du als Teilzeit-Kinderyogalehrende*r da und nutzt Stundenbilder von anderen, bist du total froh, dass du dir nicht immer selbst etwas ausdenken musst.
Aber kann man sich nicht einfach freuen, wenn man kopiert wird? Ist das nicht eben ein Zeichen dafür, dass man gut ist und mit seinen Konzepten überzeugt? Und: Geht es nicht um die Gemeinschaft, das Netzwerk, das große Ganze? Und überhaupt: Ist Yoga nicht eh Gemeinschaftseigentum und für alle?
Asteya – Nicht stehlen
Es ist eben nicht nur eine Frage der Perspektive. Es geht auch um Asteya, laut Patanjali eins der Yamas, die uns Yogis / Yoginis ethisch korrekte Richtlinien geben, wie wir mit anderen umgehen. „Steya“ heißt übersetzt „stehlen“, das „a“ steht für „nicht“. Nicht klauen also, und damit ist sowohl Diebstahl im eigentlichen Sinn gemeint, als auch geistiges Eigentum: Sich nicht mit den Ideen anderer zu schmücken. Jede*r, der schon einmal viel Herzblut und Zeit in ein Konzept, in eine Struktur, einen Workshop, die Illustration eines Kartensets gesteckt hat, kann nachvollziehen, wie schmerzlich es ist, wenn andere hingehen und sich ohne zu fragen, einfach an den Inhalten bedienen. Asteya kann auch heißen, sein Wissen mit anderen großzügig zu teilen (siehe hier) und es eben nicht für sich zu behalten. Aber wie gesagt, mit Wertschätzung und innerhalb der yogischen Ethik.
Ich erlebe die Kinderyogaszene als enorm großzügig und teilend. Und daher ist in meinen Augen oft kein Verständnis dafür da, dass Angebote auch etwas kosten dürfen. Vieles muss gratis oder wenigstens günstig sein. Das geht bei Workshops los und hört bei einer Kinderyogastunde nicht auf. Warum ist das so? Ich weiß es nicht. Während z.B. in der Coaching-Szene teilweise astronomische Preise aufgerufen werden, muss ich manchmal innerhalb meiner Weiterbildungen noch Überzeugungsarbeit leisten, dass eine Kinderyogastunde mehr als 8 Euro kosten sollte. Aber es ist eben, wie es immer ist: Qualität kostet ihren Preis. Auch beim Kinderyoga.
Und ich denke, damit erklären sich auch die Grenzüberschreitungen. Es ist etwas anderes, ob vorher gefragt wird oder einfach vom anderen genommen wird. Daher finde ich den Vorwurf, man sei „nicht yogisch“, weil man sein Eigentum schützen wolle, nicht angemessen. Das heißt aber noch lange nicht, dass hinter jeder Yogaübung, hinter jedem Ansatz jetzt ein Copyright-Zeichen stehen sollte. Denn es stimmt: Der Yoga ist kostenlos und für alle. Handgemachte Materialien, selbst verfasste Bücher und Konzepte und ja, auch eigene Herangehensweisen und Verbindungen, sind dagegen von deinen Mitmenschen gemacht. Und das muss gewertschätzt werden.
No blaming
Mit diesem Beitrag möchte ich keinesfalls ein blaming veranstalten. Ich möchte niemanden hochschrecken und anprangern. Auch mir ist es sicher schon einmal untergekommen, dass ich einen Impuls bei anderen als Initialzündung für etwas Eigenes genutzt habe. Wie in jeder anderen Szene auch sind die Mitglieder der Kinderyogaszene in allererster Linie – Menschen. Und wo Menschen sind, gibt es verschiedene Vorstellungen, Bedürfnisse und Wege, die sich mal kreuzen, dann aber wieder trennen.
Sei achtsam
Ich möchte dich und uns alle sensibilisieren, das auch als Vorbild zu leben, wofür wir alle gehen und das wir auch den Kindern vermitteln wollen: Achtsamkeit. Lasst uns wertschätzend und dankbar dafür sein, dass wir uns in einer Community bewegen, in der soviel geteilt wird. Und gerade deswegen darfst du den Ideen anderer huldigen, sie verlinken und auf sie verweisen. Das schmälert nicht deine eigene Kreativität.
Reflexionsfragen an dich:
- Wenn du etwas bei anderen siehst, das dir gefällt: Frag nach, bevor du es teilst.
- Nenne, wann immer es geht, deine Quelle.
- Kommen dir Gedanken, wie „Na, das hat die/der ja auch nicht erfunden“, schau achtsam hin und frage dich, ob du zu dem Thema nicht auch einen eigenen Aspekt beizutragen hast, statt dich einfach zu bedienen.
- Schätze die Arbeit von anderen wert.
- Versetze dich in die Lage des Kreativen und überdenke deine Meinung: Wie würdest du dich fühlen?
Lasst uns achtsamer hinschauen, und die Inhalte anderer achten. Das ist im Sinne von Patanjali und ebenso das, was wir an die Kinder weitergeben wollen.
Einige Tipps fürs eigene Kreativ-Werden
- Es mag schneller gehen und für den Anfang enorm hilfreich sein, auf ein gekauftes Stundenbild von anderen zurückzugreifen. On the long run kommst du damit aber leider nicht weit. Ein Stundenbild ist ein Konzept, die Stunde ist dank des Mitwirken der Kids lebendige Realität.
- Um es mit Gerald Hüther zu sagen: Geh spazieren. Was für eigene Ideen kommen dir? Sind die nicht viel genialer und passender für deine Kinder (die du sowieso am allerbesten kennst)? Nimm dir Zeit!
- Trau dich, auch mal neue Wege im Kinderyoga zu gehen. Probiere aus, tue dich mit Kolleg*innen zusammen. Statt der x-ten Zirkus-Stunde und des x-ten Spiels frage dich: Was bringst du persönlich mit, das dem Kinderyoga noch mal einen neuen Woosh mitgeben könnte?
- Wenn dir partout keine Texte für deine Website einfallen wollen, frage dich: „Was willst du den Kids vermitteln?“ Wohl eher eine ethisch-korrekte Haltung und Werte, als nur bunte Stunden … Darüber lohnt es sich sicher mal, zu meditieren.
- Eine gute und qualifizierte Weiterbildung erkennst du übrigens immer auch daran, dass der Ausbildende auch im Anschluss für Fragen erreichbar ist. Das heißt nicht, dass du alles von ihm automatisch nutzen kannst. Aber vielleicht hat er / sie einen guten Rat.
- Last, but not least: Meine Online-Weiterbildung „Kreativer Kinderyoga“ verhilft dir zum Wecken deiner eigenen Kreativität und macht dich unabhängig von den Ideen anderer.
- Ich habe einige ausgewählte Stundenbilder geschrieben, die du als Skizze für deine Kinderyogastunden nutzen kannst. Diese findest du in meinem Shop.