Teen Yoga und Musik: Trau dich und dreh auf!
Realität versus Wunschvorstellung: Nicht alle Teens stehen zwangsläufig auf liebliche Yoga-Musik oder auf Mantren, nur weil wir sie selbst mögen und passend für das Alter finden. Was also tun, wenn die Tweens und Teens statt Mai Cocopelli harten Deutsch-Rap in deinem Yoga-Unterricht nutzen wollen? Warum du abseits von ausgewiesener (Kinder-)Yoga-Musik meiner Meinung nach auch mit anderen Musikstilen arbeiten und mutig deine eigenen musikalischen Roots mit einfließen lassen darfst – das beschreibe ich hier.
Über das Thema „Kinderyoga und Musik“ habe ich bereits öfters geschrieben. Und doch fallen mir hier immer wieder neue Aspekte ein, wie Songs die yogische Arbeit mit Teenagern und Jugendlichen unterstützen können. Denn wie bei uns allen entwickelt sich auch mein Kinder- und Teen Yoga-Verständnis immer weiter. Ein Aspekt davon ist, dass ich heutzutage noch viel offener mit Musik im Teen Yoga umgehe, als zu Beginn meiner Lehrtätigkeit vor nun fast zehn Jahren. Heute möchte ich mit einigen Klischees aufräumen beziehungsweise diese bewusst zur Diskussion stellen. Dazu ein kurzer Schlenker, hin zu meiner musikalischen Sozialisation.
Die ganze Bandbreite der Musik
Musik spielt in meinem Leben nicht erst eine große Rolle, seit ich es endlich geschafft hatte, Redakteurin bei MTV und VIVA zu werden. Meine Eltern waren große Opern-Fans und so schleppten sie mich schon als kleines Kind ins Kölner Opernhaus, wo ich dann fein gemacht im Kleidchen in den dreistündigen Abendvorstellungen saß (Kindervorstellungen gab es damals nur an Weihnachten). Seitdem liebe ich Opern, vor allem natürlich die italienischen. Mein Lieblings-Onkel war Berufsmusiker mit eigener „Tanzband“ und ich bekam von ihm eine Querflöte geschenkt. Jahrelang ging ich zum Unterricht, spielte in Orchestern, Quartetten und Bigbands. Die Freude, Teil einer musizierenden Gemeinschaft zu sein und Stücke von George Gershwin oder Cole Porter zu spielen – unbezahlbar. Wir hörten Joe Jackson, Stevie Wonder und natürlich die Beatles und trafen uns so manches Mal zum Improvisieren.
Dann wich das aktive Musizieren einem zunehmenden Musikhören. Querflöte zu spielen fand ich plötzlich uncool. Die Teenager-Zeit war gekommen – und mit ihr diese einzigartige Phase des Lebens, in der wir uns durch einen simplen Popsong mehr verstanden und aufgehoben fühlen als durch alle Familienmitglieder. Ja, ich kann das so sagen: Musik war eine Zeitlang meine Familie. Morrissey und Robert Smith erkor ich quasi zu meinen Ziehvätern, Blondie und Siouxsie Sioux bildeten meine weiblichen Ikonen. Mein Vater fand meine Lieblingsmusik erwartungsgemäß wirklich grässlich.
In den 90ern begann ich schließlich damit, MTV und die Popkultur zu vergöttern sowie Musikvideos zu „suchten“, wie meine Tochter heute sagen würde. Crossover, Rap und Grunge waren in unserem Wohnzimmer angekommen. Die Liebe zur Musik über alle Stile hinweg habe ich mir erhalten – jenseits von Pubertät und Jugendzeit.
Auch heute noch erstelle ich zu allen möglichen Themen Playlists (gerne auch gemeinsam mit dem vinylsammelnden Ehemann), freue mich über wiederentdeckte Pop-Perlen der Achtziger, gehe in die Oper und liebe es nach wie vor, mit Freunden über Musik zu fachsimpeln.
Teen Yoga heute unterrichten – mit Musik
An meinen eigenen Weg erinnere ich mich oft, wenn ich eine Teen Yoga-Stunde zu einem bestimmten Thema erstelle. Denn der Zugang zu Jugendlichen ist für viele oftmals nicht so leicht, wenn man eben nicht mehr 20 ist. Daher liebe ich es, sie ihre Musik mitbringen zu lassen, so dass wir daraus gemeinsam kreative Yoga-Flows erschaffen können. Welche Möglichkeiten du als Teen Yoga-Lehrer*in hast, wenn du Musik in deinen Unterricht einbauen willst, habe ich kürzlich in einem Artikel für PLUS.Kinderyoga.de beschrieben. So kannst du in der Tat viel über deine Teens und auch über ihre (Musik-)Welt erfahren und lernen, wenn deine Schüler*innen ihre angesagten Songs mit in den Unterricht bringen. Was ihr daraus machen könnt, lest ihr zum Beispiel im PLUS-Artikel.
Was ist geeignete Teen Yoga und Kinderyoga-Musik und was nicht?
„Und wenn die Teens harten Deutsch-Rap wie von SSIO oder Lucio101 mitbringen?“ Diese Frage bekomme ich in meiner Teenyoga-Online-Fortbildung öfter zu hören? Denn nichts scheint schlimmer, als krasse, explizite Musik, die den gewünschten „Flair“ deiner Stunden durchkreuzt.
Um die Frage zu beantworten, müssen wir einmal mehr einen Schritt zurücktreten und überlegen, welche allgemeinen Erwartungen an Kinderyoga und Teen-Yoga gestellt werden. Es soll bitte möglichst harmonisch zugehen und friedlich, positiv. Ahimsa, also die Gewaltlosigkeit, die Patanjali im Yoga preist, soll auch bei den Kleinsten gewahrt werden. Soweit, so gut. Ich werfe mal ein paar provokante Gedanken in den Raum, die es meiner Meinung nach wert sind, diskutiert zu werden:
- Müssen wir beim Teen Yoga mit unseren jungen Schüler*innen auf Sanskrit chanten, um den Yoga-Spirit herüberzubringen?
- Zeichnet die für Kinder- und Teen Yoga produzierte Musik meist nicht ein total idealisiertes Bild? Noch dazu eins, das – weil meistens voller indischer Klänge – zwar viel mit dem Ursprung des Yoga, gänzlich aber nichts mit dem Alltag unserer Jugendlichen zu tun hat?
- Setzen wir hier nicht auch unseren Teens etwas vor, das eher Dogma ist – von Erwachsenen aufgesetzt?
- Inwieweit hat deine Musikauswahl eher etwas mit deiner Vorstellung von einer gelungenen Teen Yoga-Stunde zu tun als mit der Wirklichkeit?
- Implizieren wir nicht durch derartige Musik-Wahl voller freudiger Kinderstimmen, die auf Englisch oder Deutsch über die Farben des Regenbogen singen, wie Yoga zu sein hat?
- Fühlen sich die Jugendlichen, die Mantren und Chanten für „Eso-Spiri-Zeugs“ halten und dennoch Bock auf modernen Yoga haben, ausgegrenzt?
Das heißt nicht, dass du nicht mit deinen jugendlichen Schüler*innen „Lokah Samastah“ oder ähnliche Mantren anstimmen solltest. Aber nur dann, wenn das für DICH und für DEINE Teens auch passt. Und das entscheidet ihr gemeinsam. Und nicht, weil du ihnen etwas vorsetzen willst, was den Stempel „Yoga“ trägt, aber weder für dich noch für die Kids passend ist.
Authentizität leben
Wenn Yoga sich dem Menschen anpassen soll, wie Krishnamacharya sagt, darf es auch im Teen Yoga realistisch zugehen. Zwangsläufig heißt das in der Konsequenz auf die eingangs gestellte Frage, dass harter Deutsch-Rap mit sexistischem Text zumindest erst einmal angehört werden sollte, bevor du dir ein vorschnelles Urteil darüber bildest und ihn in deinem Yoga ablehnst. Vielleicht ist allein die Tatsache, dass sie offen und ehrlich ihre Musik mitbringen, erst einmal ein großes Kompliment an dich. Denn es scheint, als könnten sie in deinem Unterricht authentisch sein.
Frage die Teens, warum ihre Songauswahl auf diese Songs gefallen ist. Als Provokation, als Sprachrohr für Diskussionen, weil sie Sprachgebrauch mit herabsetzendem Vokabular „cool“ finden? Vielleicht wäre eine aufkommende Diskussion über die Historie des Rap (der vielfach nicht nur explizit, sondern häufig eben auch politisch konnotiert ist), über Respekt, über ein achtsames Miteinander, über altes und neues Frauenbild im Rap wesentlich „yogischer“, als unkommentiert eine Playlist mit Mantren zu starten. Diskutiere mit ihnen. Sage ihnen, dass du ein Problem mit sexistischen Texten hast – noch dazu im Yogaunterricht. Und natürlich steht es dir frei, am Ende der gemeinsamen Diskussion zu erklären, dass solche Art von Musik für dich nicht mit deinen Werten vereinbar ist. Fair enough – und dennoch habt ihr dann eine gemeinsame Basis geschaffen, eine Basis der Authentizität. Authentizität im Yoga zu leben heißt für mich also, jenseits von Dogmen, Klischees und Erwartungen zu unterrichten. Und in allererster Linie auf die Kids zuzugehen. Annehmen, was ist. Das bedeutet für mich, (auch) Teens und ihre Musik wertfrei zu sehen. Selbst dann, wenn es mir schwerfällt.
>>> Warum wir mit unseren Kindern über David Bowie sprechen sollten
Zart vs. hart
Auf der anderen Seite mache ich oft musikalische Angebote im Teenyoga – und freue mich dann insgeheim wie ein Schnitzel, wenn sie bei meinen Schüler*innen ankommen.
Zum Beispiel „Zart vs. hart“, wie ich es nenne. Gegensätzliche Gefühle durch Musik zu erzeugen und mithilfe von Yoga körperlich auszudrücken – das ist eins meiner großen Lieblingsthemen im Teen Yoga. Vergiss nicht: Jugendliche müssen mit einem Wirrwarr an unterschiedlichen Gefühlen während der Pubertät klarkommen. Da kann es auch mal so reinigend wie ein klärendes Gewitter sein, der inneren Zerrissenheit einfach mal einen wütenden Punk-Rock-Song entgegenzusetzen. Sich energiereich und voller Stärke, geladen und kraftvoll zu fühlen. Yeah! Und womöglich empfinden sie Stunden (Minuten?) später schon wieder ganz anders. Empfindsam und sensibel. Für alle ist dieses kleine Experiment gedacht.
Zart: Unter dem Motto „Schönheit“ oder „Selbstliebe“ folgende Teen Yoga-Idee: Du legst „Ocean Eyes“ von Billie Eilish auf und bietest den Schüler*innen an, dazu passende Yoga-Haltungen und -Bewegungen einzunehmen. Diese werden sicher eher von Sanftheit, flowiger Zartheit geprägt sein. Ihr könnt die verschiedenen Bewegungen sammeln und anschließend euren eigenen zarten Flow daraus erstellen.
Hart: Anderer Song, anderer Kontext: Das Motto könnte hier „eigene Stärke“ oder „Mut“ sein und du bietest den Jugendlichen an, passende Asanas zu wählen – zum Beispiel Krieger-Variationen. Oder auch Box- und Kampfsport-Bewegungen – eine Idee, die ich beim Online-Teen Yoga während der Lockdowns hatte (die Tochter hat den Braunen Gürtel im Taekwondo) und die scheinbar auch gut für andere Kolleg*innen funktioniert, denn in den sozialen Medien sehe ich nun immer mehr solcher Kampfsport-Inhalte im Teen Yoga.
Der Soundtrack dazu ist powergeladen: z.B. „This Corrosion“ (Sisters of Mercy > Danke für den Reminder, Stephanie Schönberger), „Lose Yourself“ von Eminem oder auch „Sonne“ von Rammstein (auch hier: keine Bewertung bitte, nur spüren). Auch gut und IMMER politisch: Rage Against The Machine oder Public Enemy. Am Ende könnte ebenfalls euer eigener, kräftigender Flow entstanden sein, den alle mit nach Hause nehmen und auch allein praktizieren können (zum Beispiel dann, wenn Stärke gefragt ist und eine Klassenarbeit ansteht).
Trau DICH, zeig DICH und drehe auf!
Last, but not least möchte ich auch dich dazu ermutigen, einmal Musik abseits von gängigen Kinderyoga-Pfaden auszuprobieren. Selbstverständlich darf die Playlist deiner Teen Yoga-Stunden auch Musik enthalten, die DICH in gute Schwingungen versetzt. Hab keine Angst vor peinlichen Momenten – und wenn sie wirklich kommen sollten, lernst du aus ihnen. (Zum Beispiel, wie sich deine Teens wahrscheinlich selbst oft fühlen.)
Was für Musik berührt DICH? Ist es Abba? Coldplay? AC/DC? Hildegard Knef? Miley Cyrus? Sei mutig, sei authentisch und trau dich, aufzudrehen und den Schüler*innen auch deinen inneren Teenager zu zeigen. Du wirst garantiert für deine Offenheit belohnt.
Kennst du schon unsere Teenyoga-Playlist „Stay strong, shine on“? Sie bietet mit über 10 Stunden Musik wirklich für jeden Geschmack etwas.
Auch toll: Die Teenyoga-Playlist, die ich für das Yoga Journal kuratieren durfte.